Kulturelle Säkularisierung bezeichnet die Auflösung vormals religiöser, speziell christlicher Glaubensvorstellungen als verbindliche Kulturmuster. Wir vermuten, daß dieser allgemeine Trend durch zwei Faktoren „gebrochen“ und spezifisch eingefärbt wird. Politische Regime, die die Religionsfreiheit einschränken und alternative Ideologien anbieten, werden den Prozeß der Säkularisation beschleunigen. Anti-klerikale Arbeiterschichten sind gegenüber Säkularisierungsprozessen sensibler als Mittelschichten; insofern kann man erwarten, daß der allgemeine Kulturwandel einer zunehmenden Säkularisierung in den antiklerikalen Schichten früher einsetzt als in den konservativ-religiösen Schichten. Mit Hilfe einer quantitativen Inhaltsanalyse der Semantik von Todesanzeigen von zwei Leipziger Tageszeitungen für den Zeitraum 1893 bis 1994 werden diese drei Hypothesen eines angenommenen Kulturwandels überprüft. Die Hypothese einer zunehmenden Säkularisierung und die Hypothese, daß antiklerikale Regime den Säkularisierungsprozeß forcieren, werden falsifiziert. Die dritte Hypothese wird bestätigt. Die Ergebnisse werden mit Hilfe der Luhmannschen Vorstellung der Ausdifferenzierung von Religion interpretiert.