Die Mathematik wird in diesem Aufsatz als ein empirisches Beispiel präsentiert, an dem sich die Voraussetzungen eines „rationalen Dissenses“ exemplarisch untersuchen lassen. Denn im Gegensatz zu anderen epistemischen Kulturen gibt es in der Mathematik weder interpretative Flexibilität noch unentscheidbare Kontroversen. Auf der Basis einer medientheoretischen Perspektive und einer Feldstudie in einem internationalen Mathematikinstitut geht der Aufsatz der Frage nach, ob die Soziologie im Falle der Mathematik nicht auf eine prinzipielle Grenze stößt. In einem ersten Teil wird die These einer epistemischen Besonderheit der Mathematik präzisiert und in Auseinandersetzung mit zwei programmatischen Arbeiten zur Mathematiksoziologie vertieft. Anhand der Geschichte des Objektivitätsbegriffs wird im zweiten Teil gezeigt, dass sich die Integrationsmechanismen über die Zeit hinweg verändert haben: Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wird die Anschlussfähigkeit von Kommunikationen in zunehmendem Maße durch symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien gesichert, die in der Mathematik die spezifische Form der Formalisierung annehmen. Der dritte Teil beschreibt anhand von drei Beispielen (computergestützte Beweise, lange Beweise und experimentelle Mathematik) gegenwärtige Tendenzen, die von einigen Mathematikern zum Anlass genommen werden, für eine „Liberalisierung“ der mathematischen Validierungsmethoden zu plädieren. Zum Schluss werden die Konsequenzen diskutiert, die sich daraus für den spezifischen Integrationsmodus der Mathematik ergeben.