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  • 标题:Zu "Vererbung" und "Vater-Schuld" in storms Novelle Carsten Curator.
  • 作者:Wang, Luzia Mei-ling
  • 期刊名称:Fu Jen Studies: literature & linguistics
  • 印刷版ISSN:1015-0021
  • 出版年度:2004
  • 期号:January
  • 语种:English
  • 出版社:Fu Jen University, College of Foreign Languages & Literatures (Fu Jen Ta Hsueh)

Zu "Vererbung" und "Vater-Schuld" in storms Novelle Carsten Curator.


Wang, Luzia Mei-ling


In Theodor Storms Werken tauchen haufig Themenkreise auf, die seine Heimat Husum und deren Umgebung darstellen. Nicht nur die Themen der Landschaftsschilderung Norddeutschlands, der leidvollen Liebesbeziehungen, der Kunstlerproblematik und der Burgerlichkeit, sondern auch Themen wie die Familie, das Ringen um die Aufrechterhaltung der Tradition, aber auch die Anspielung auf den Verfall, die "die Familie in der Zerstorung mit den tiefsten Schatten" (1) zeigt, werden dargestellt. Dabei spielt eine wichtige Rolle das Vater-Sohn-Verhaltnis, das besonders seit Mitte der 70er Jahre Storms Novellistik beherrscht. Das um 1880 zeitgemasse, aktuelle Thema "Vererbung," das als ein offensichtlicher Faktor fur das Schicksal und die Tragik des Menschendaseins galt, dient ebenfalls als weiterer Stoff insbesondere fur seine spateren Novellen, an denen Storm seine Schaffenskrafte ubte und seine Lebensauffassung dokumentierte. (2) Die vorliegende Untersuchung versucht anhand Storms Erzahlung Carsten Curator und der darin verarbeiteten biographischen Bezuge herauszufinden, wie Storm das Motiv "Vererbung" am Beispiel der Trunksucht bearbeitet, wie das Thema der Vater-Schuld sowie die Schicksalstragik zur Darstellung kommen. Schliesslich ist zu fragen, wie sich Storms Kunstwerk mit seinen eigenen Erlebnissen verbinden lasst.

Die Novelle Carsten Curator

Die 1878 in Westermanns Illustrierten deutschen Monatsheften erschienene Novelle Carsten Curator spielt in Storms Geburtsstadt Husum. Storm erwahnt in seinem Brief an Georg Lorenzen und Ludwig Pietsch, dass er sich schon seit 10 Jahren mit dem Stoff dazu beschaftigt habe. (3) Denn er hofft, sich von seinem seelischen Druck frei schreiben zu konnen und den Sohn Hans von der Trunksucht, die fur ihn zur "lebenszerstorenden Sorge" (4) wurde, zu befreien. Das Schicksal seines altesten Sohn Hans, der sein "Sorgenkind" und seine "ungluckliche Liebe" (5) war, lastet namlich auf seiner Seele.

In der Novelle geht es um einen verstandigen, ruhig abwagenden Ehrenmann, Carsten Carstens, der von allen Notbedurftigen aufgrund seiner juristischen Geschafte auch "Curator" genannt wird und als Rechtsbeistand alleinstehender Frauen in Verwaltungs- und Vermogensangelegenheiten tatig ist. Bei einer solchen Tatigkeit begegnet er der Tochter eines verstorbenen fremdlandischen Spekulanten, der schonen Juliane, die ihn gleich betort und sein bisher gefuhrtes geregeltes burgerliches Leben ins Schwanken bringt. Der Ehebund folgt, und mit Julianes Tod im ersten Kindbett endet das Gluck fur Carsten. Der Sohn Heinrich hat das leidenschaftliche, jedoch leichtsinnige und abenteuerliche Wesen seiner Mutter geerbt, das die Zuge von Liederlichkeit und Gleichgultigkeit tragt. Dies wird zur Sorge fur Carsten. Heinrich erlernt als junger Mann den Beruf des Kaufmanns. In dieser Eigenschaft soll er fur den Senator in Flensburg Geld abholen, jedoch in seinem Leichtsinn verspielt er dieses Geld.

Er wird entlassen, bekommt bald danach durch Carstens Freund eine Arbeitsstelle in Hamburg, wo er trotz des Verdienstes nicht mit dem Geld auskommt und oftmals Geld von Carsten fordert. Es entstehen Verschuldungen, die den grossten Teil von Carstens ubriggebliebenem Vermogen kosten. Dies verschweigt Carsten. Durch einmalige gunstige Gelegenheit kauft Carsten einen Laden zur sicheren Versorgung der Zukunft der Familie. Anna, die selbstlose und gutige Pflegetochter Carstens, deren Eltern verstorben sind, erklart sich bereit, mit ihrem geerbten Vermogen mitzuhelfen und gleichzeitig auf Heinrichs Antrag seine Frau zu werden. Der Kleinhandel in der landlichen Heimat kann Heinrich bald nicht mehr befriedigen. Die erneute Teilnahme an Spekulationen lasst ihn schliesslich vor dem Bankrott stehen. Heinrich verfallt der Trunksucht. Vergebens fleht er Carsten um Hilfe an. Beim Bruch der Schleuse verschafft sich Heinrich ein Boot und wird betrunken von der Sturmflut verschlungen.

Vater Curator und die burgerliche Familientradition

Gleich in der Exposition wird der Charakter und die Gemutsart des Protagonisten Carsten Carstens, Sohn eines tugendhaften Kleinburgers und Handlers, dargestellt. Er ist ein fursorglicher Rechtsbeistand, ein "Curator einer Menge von verwitweten Frauen und ledigen Jungfrauen" (456) (6) ein "unantastbarer Ehrenmann" (ebd.), ein Mann von "wenig Worten und kurzem Entschluss" (457) mit "Sittenstrenge" (459); und ein "verstandige(r) ruhig abwagende(r) Mann" (460), also ein "Reprasentant des provinziellen Lebensmusters" (Freund 59). Auf dem eingeengten burgerlichen Hafenplatz an der Twiete sind die Menschen--es versteht sich--fest eingebunden in den seit Generationen kaum veranderten Lebensablauf, in "Tradition und Konvention, in Klatsch und Tratsch" (Freund ebd.). Die kleinburgerlichen Zuge werden durch den Lebensstil und die allgemeinen Massstabe des Urteils gezeigt, wie Winfried Freund im Folgenden bemerkt:
 Pedantisch geregelte Lebenslaufe, Erwerbs- und Pflichteifer,
 Zweckdenken, Sparsamkeit, verbissener Ernst und anspruchslos
 unauffallige Lebensweise fugen sich zum Bild eines freudlosen
 Alltags ohne Hohen und Tiefen [...] (Freund ebd.)


Durch den Erzahler erfahrt der Leser gleich nach der Charakterisierung des Curators von einer zwanzig Jahre zuruckliegenden unerhorten Begebenheit, namlich die Begegnung Carstens mit der um vieles jungeren schonen Juliane, die Tochter eines fremden Spekulanten, der sich in der dort genannten Blockadezeit erhangt hat (457). Juliane ist wie ein Stern, der in Carsten Moglichkeiten fur ein "anderes Leben" wachruft:
 Sie war es doch gewesen, die mit dem Licht der Schonheit
 in sein Werktagsleben hineingeleuchtet hatte; ein fremder
 Schmetterling, der uber seinen Garten hinflog und dem seine
 Augen noch immer nachstarrten, nachdem er langst schon
 seinem Blick entschwunden war. (460)


Die gepflegten Konventionen des kleinburgerlichen Lebens mit ihren Pflichten und ihrem Ordnungswillen sind Juliane fremd. Sie bildet mit ihrer "spielerische(n) Selbstverliebtheit" (Patzold 137) den Gegenpol zu Carstens rechtschaffener und etwas steifer Art; sie fungiert als die Fremde, die eine von draussen kommende Anziehungskraft verkorpert wie die slowakische Margret in Draussen im Heidedorf, die so viel wie eine Zerstorung des ordentlichen Lebensablaufs bedeutet. Da Juliane eine Verkorperung der fremden Welt mit unbandiger Lebensfreude ist und daher eine Gefahr fur den burgerlichen Alltag darstellt, erlebt Carsten eine verwirrende "Unterwerfung der schlichtburgerlichen Pflichtmassigkeit und Anspruchslosigkeit unter das damonische Prinzip sinnlicher Schonheit," wie dies der Erzahler dem Leser vor Augen fuhrt: "Sie hatte einen schildpattenen Frisierkamm in der Hand und strich sich damit durch ihr schweres goldblondes Haar, das aufgelost uber ihren Rucken herabhing [...]."

Carstens Ungluck wird durch diese einmalige "Entgleisung," die ihn vom "Tugendpfad des korrekten Burgers" (Laage, Die Schuld des Vaters, 13) abweichen lasst, verursacht. Die Ahnung des Verlorenseins, bedingt durch das verhangnisvolle Schicksal und durch das Ausserachtlassen seines Verstandes und seines Gefuhls ist, so Hartmut Patzold, ein Zeichen fur seine "Verunsicherung und Angst" (Patzold 136) bis hin zur "Auflosung der Person," (9) wie sie sich z. B. im Entzug der burgerlichen Identitat und deren kulturellen Normen bei Carsten andeutet. Eine auffallende Veranderung an Carsten seit der Begegnung mit Juliane wird in der Novelle wie folgt dargestellt:
 seine noch immer hohe Gestalt schien plotzlich zusammen-gesunken,
 die ruhige Sicherheit seines Wesens war wie ausgeloscht; wahrend
 er das eine Mal ersichtlich den Blicken der Menschen auszuweichen
 suchte, schien er ein ander Mal in ihnen fast angstlich eine
 Zustimmung zu suchen, die er sonst nur in sich selbst gefunden
 hatte [...] Man hatte glauben konnen, der alte Carsten habe sich
 noch in seinen hohen Jahren ein boses Gewissen zugelegt. (492-493)


Carstens Tragodie entfaltet sich durch die Unsicherheit seines Wesens und zugleich durch die uppige Erfahrung von Lebensfulle, mit der ihn Juliane konfrontiert, die ihn zwar fasziniert und die ihm Daseinsfreude bringt, die aber auch sein Lebensziel und die Familientradition in Frage stellt. Diese Familientradition wird in der Novelle einmal durch das Bild eines machtigen Bierbaums vertreten, der zugleich das Sinnbild eines "ursprunglich-vitalen Lebens" (Freund 62) und einer "intakte(n), vitale(n) Familientradition" (Patzold 136) mit wirtschaftlichem Erfolg darstellt. Das Familienbild, das in Scherenschnitten drei Generationen beim Abendspaziergang zeigt und die "Menschheit," die "von der Nacht, vom Tod, in ewigen Nichts" (Schweitzer 45) abgelost werden wird, symbolisiert und eine Vergegenwartigung der Verbindung zwischen den Toten und den Nachgelassenen bedeutet, ist der Ausdruck der Erinnerung und zugleich der Sehnsucht nach einem Halt und einer "Geborgenheit im Familienverband" uber die Generationen hinweg. Wie aus dem Text hervorgeht, werden sowohl der Baum, der einst von dem Grossvater gepflanzt wurde, als auch das Familienbild zum "Symbol fur die Einheit der Geschlechter" (Hilbig 74):
 Manchmal, in stiller Abendstunde oder wenn ein Leid sie
 uberfiel, hatten sie (die Geschwister) - sie wussten selbst kaum
 wie--sich vor dem Bilde Hand in Hand gefunden und sich der
 Eltern Tun und Wesen aus der Erinnerung wachgerufen. "Da
 sind wir ubrigen denn noch beisammen [...]" (471)


Dass Carstens sich um das Familientreffen am Weihnachtsfeiertag mit dem in der Fremde lebenden und anscheinend sozial herabgekommenen Sohn Heinrich bemuht, deutet auch unverkennbar auf eine auf Soliditat und Ordnung gegrundete Familientradition hin. Heinrichs sorgloses, leichtsinniges Wesen widerspricht gerade der burgerlichen traditionellen Familienordnung, wie es der Erzahler mit kritischer Distanz schildert: "Von den Kummernissen, die er den Seinen zugefugt, schien ihm (Heinrich) keine Ahnung gekommen zu sein" (486). Julianes Wesen hat in Heinrichs sorgloser, leichtsinniger Art uberlebt, jedoch wird die bezaubernde Kraft bei Juliane, die dem eintonigen Leben Freude bringt, in Heinrich zur Macht der "bosen Lust" (477). Wie aus dem Handlungsablauf ersichtlich ist, lebt Heinrich dem burgerlichen Leben widersprechend die unbandige Lust. Dass er spekuliert, sich in gewagte geschaftliche Unternehmungen einlasst und schliesslich Bankrott macht, versinnbildlicht nach Patzold "das Scheitern an einer Flucht in den burgerlichen Traditionalismus" (Patzold 139). Es ist ein Verstoss gegen das "ethische Gesetz," (11) ein vergeblicher Kampf gegen das unerbittliche Faktum und ein Zeichen fur den Verfall einer burgerlichen Familie mit der Verkummerung in der "Vater-Sohn-Beziehung." Regina Fasold beruft sich auf Karl Vogts Schrift "Schmarotzer im Tierreich" (1874) (12) und bezeichnet diese Beziehung als eine "parasitare Bindung," die gepragt sei durch eine "einseitige Symbiose, die in ihrem Kern gegenseitige Versklavung" (Fasold, "Theodor Storms Verstandnis" 53) bedeute. Die Folge davon ist, dass Vater und Sohn aneinander zugrunde gehen, beide verlieren ihre Existenzgrundlage und es kommt zum "Untergang seines Hauses" (514). Der Erzahler schildert den ruinierten Vater Carsten, wie die Bande des Blutes sein Schicksal an das seines Sohnes gekettet hat: "Damals--ja, damals hatte er sein Leben selbst gelebt; jetzt tat ein Anderer das; er hatte nichts mehr, das ihm selbst gehorte--keine Gedanken--keinen Schlaf--" (501).

Wie Storm selbst einmal gegenuber Albert Niess geaussert hat, gehore die Novelle Carsten Curator zu jenen Werken, in denen der Dichter sich den Grausamkeiten sowie Zwangen des Daseins stelle, ohne den Versuch zu machen, durch Poetisierung deren Harte zu mildern. Dies fuhrt teilweise zu massiver zeitgenossischer Kritik, weil Storm damit "gegen den Zeitgeschmack," d. h. "gegen die ungeschriebenen Gesetze des poetischen Realismus verstossen hatte." (13)

Vererbung und Trunksucht

Vor diesem Hintergrund kann man deutlich sehen, wie sehr das unbekummerte Wesen Heinrichs mit dem Vaterleid und der daraus resultierten Frage nach der Schuld des Vaters verbunden ist. Die Sorge Carstens um seinen Sohn Heinrich zieht sich wie ein roter Faden durch die Handlung und wird zudem ausdrucklich vom Erzahler betont:
 [...] auch mit Carsten legte sich abends in seinem Alkovenbette
 etwas auf das Kissen, was ihm, er wusste nicht wie, den Schlaf
 verwehrte; und wenn er sich aufrichtete und sich besann, so sah er
 seinen Knaben vor sich, und ihm war, als sahe er mit Angst ihn
 grosser werden. (461)


In einem Selbstgesprach wendet sich Carsten an seine verstorbene Frau Juliane mit der Vorhersage, dass auch der Sohn ihm das Herz zerreissen werde; und gleich darauf bittet er Gott, dass er fur Heinrich leiden wolle, nur moge er ihn nicht verlorengehen lassen (479). Wenn man Carstens Sorgen um Heinrich mit Storms realem Leben im Umgang mit seinem altesten Sohn Hans vergleicht, ist das Leid des Vaters der verbindende Zug zwischen Storms Biographie und mancher Problemzeichnung in seinen Spatnovellen. Aus dem biographischen Hintergrund von Storms Familie wird ersichtlich, wie der Dichter das Problem auch unter Vererbungsaspekten der Familie sieht, denn als sein altester Sohn Hans der Trunksucht verfallen war und Alkoholiker wurde, bat Storm Hans, sich vom Wirtshaus zu distanzieren und warnte ihn davor: "Das Bier ist in Bezug auf Euch Jungens eine von meinen Todesangsten." (14) Auch in einem Brief an Hans, datiert vom 22. Dezember 1878, hat Storm geaussert, dass sein eigener Vater auch von der Trunksucht heimgesucht wurde: "der Bluttropfen, der aus Grossvaters Geschlecht kommt, mag einen Theil Deines grossen Unglucks [...] tragen." (15) Ahnliches hat er seinem Bruder Otto geschrieben: die "Last des Erbtheils hat noch dran gehangen. Unsres Vaters zwei Bruder haben sich todt getrunken, deren Sohne und Enkel; er wird es auch." (16)

Storms Vaterleid in seinem realen Leben wird hiermit nicht nur durch die Vaterfigur Carsten Curator sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, sondern auch funf Jahre spater in der Novelle Hans und Heinz Kirch, in der das Schuldgefuhl des Vaters fast ein motivisches Zentrum bildet. (17) Er lasst das Vaterleid in Carsten Curator nicht lediglich durch die verhangnisvollen Taten Heinrichs zum Ausdruck kommen, sondern entwickelt es zu einer aus dem Verstoss gegen das ethische Gesetz resultierenden Vater-Schuld - ein Indiz dafur, dass seine Gedanken an die zu seiner Zeit viel diskutierte Vererbungstheorie (18) anknupfen, wie sie ihren Niederschlag in den naturalistischen Dramen findet. Das wird besonders stark im Alkoholismusproblem (19) verdeutlicht, hier bei Storm am Beispiel des von der Trunksucht heimgesuchten Sohnes Heinrich. Die Trunksucht fungiert als Zeichen eines unausweichlichen Verfalls einer burgerlichen Familie der industriellen Zeit, und das Motiv wird auch durch die Vaterfigur als ein zeitgemasses Diskussionsthema im Zusammenhang mit der Vererbung zum Ausdruck gebracht. Im Bekenntnisgesprach Carstens mit seiner Schwester Brigitte spricht er einmal uber die Erbanlage:
 Meinst du [...] dass die Stunde gleich sei, in der unter des
 Allweisen Gottes Zulassung ein Menschenleben aus dem Nichts
 hervorgeht?--Ich sage dir, ein jeder Mensch bringt sein Leben
 fertig mit sich auf die Welt; und alle, in die Jahrhunderte
 hinauf, die nur einen Tropfen zu seinem Blute gaben, haben
 ihren Teil daran. (478)


Es scheint mir eine Notwendigkeit zu sein, an dieser Stelle auf Storms bisher wenig erforschte spate Novelle John Riew' hinzuweisen, da darin das Thema der Vererbung im Zusammenhang mit der Trunksucht unverkennbar gestaltet wird. Dort sagt der Kapitan John Riew' zu dem alten Doktor Snittger, seinem Gegenuber beim Gesprach:
 Sie wissen, die Gelehrten mussen ja allzeit was Neues aushecken,
 und damals hatten sie es mit der Vererbung vor--es war just ein
 solcher Artikel, den ich [...] im Correspondenten las, und ich muss
 sagen, obschon es mir Phantastereien schienen, ich vertiefte mich
 immer mehr darin, konnte nicht davon los. [...] Alles ist vererblich
 jetzt: Gesundheit und Krankheit, Tugend und Laster ..." (20)


Der Doktor Snittger versuchte, dem Kapitan die vorgetragene Theorie auseinanderzusetzen und er erwiderte:
 den mitschuldigen Vorfahren musste gerechter Weise doch
 wenigstens ein Teil der Schuld zugerechnet werden [...]. Wissen
 Sie nicht, dass selten ein Trinker entsteht, ohne dass die Vater
 auch dazu gehorten? Diese Neigung ist vor Allem erblich." (ebd.,
 376f.)


Erst in der Novelle John Riew' (1885) scheint Storm sich konkreter mit der Vererbung beschaftigt zu haben, als es zur Entstehungszeit der Novelle Carsten Curator (erschienen 1878) der Fall war. Es gelingt ihm in der Novelle John Riew', dem Vererbungsproblem durch die Hoffnung als "Helferin zum Leben" (ebd., 388) im Schlussteil der Novelle eine etwas positivere Wendung zu geben. Anzumerken sei hier, dass Storm, so wie es in der Novelle John Riew' dargestellt ist, aus dem "Hamburgischen unparteiischen Correspondenten"--einer zu Storms Zeit vielgelesenen Hamburger Tageszeitung (21)--, seine Kenntnisse uber die Vererbung bezogen hat. Peter Goldammer weist zwar auf diese "mogliche Quelle" (Goldammer 147) fur Storms Kenntnisse uber die Vererbung hin, jedoch ist es noch nicht erforscht, so Goldammer, "wann und auf welche Weise Storm erfahren hat, dass nicht nur Geisteskrankheiten vererbt werden konnen, sondern auch chronischer Alkoholismus oder, wie man damals sagte, Trunksucht [...]" (ebd.) An einer weiteren Stelle weist Goldammer auf einen aus Franz Stuckerts Werk zitierten Brief von Storm an seine Tochter Lucie und Elsabe, datiert vom 15. April 1885, hin, aus dem hervorgeht, dass Storm uberlegte, ob er Hans in einer "Besserungsanstalt" (22) unterbringen musse, ohne jedoch naher darauf einzugehen.

Zu erwahnen ist hier die von dem angesehenen Nervenarzt August Forel, dem Professor an der Universitat Zurich, von 1879-1898 verwaltete Zurcher kantonale Nervenheilanstalt Burgholzli. Forels Schriften uber die Nachwirkung der Trunksucht auf die Nachkommenschaft, die Entwicklung der Trunksucht durch soziale Faktoren und ihre Bekampfung unter anderem mit Hilfe der Abstinenzbewegung waren den Zeitgenossen in Europa, vorwiegend in Deutschland und in der Schweiz, bekannt und standen im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses der damaligen Zeit. Anhand der gehaltenen Vortrage kann man zur Schlussfolgerung kommen, dass um die Zeit von 1880 viel vom Alkoholismus bzw. seinen Nachwirkungen gesprochen wurde und dass der Alkoholismus eine gravierende Rolle im Volksleben gespielt hat. Regina Fasold geht eher von den Literaturzeitschriften als den moglichen Quellen fur Storms Kenntnisse aus und meint, dass sie "wohl eine der Hauptvermittlungsinstanzen" (Fasold, "Theodor Storms Verstandnis" 50) fur Storms Kenntnisse uber die Vererbung bilden, wie etwa Westermann's Illustrierte Deutsche Monatshefte, Deutsche Rundschau, Hauptquellen fur Storms Darwinrezeption durch die Beitrage von Karl Vogt und Ernst Haeckel gewesen sein mogen (ebd., 51). So gesehen teilt Storm mit den naturalistischen Schriftstellern die Gedanken uber die Trunksucht, versteht und begreift den Menschen als biologisch und gesellschaftlich determiniert. In seiner Novelle Carsten Curator und auch spater u. a. in John Riew' druckt er seine Wirklichkeitserfahrung aus, die er bewusst oder unbewusst aus Informationen gewonnen hat, die er bei Vortragen oder bei der Lekture von Literaturzeitschriften gewinnen konnte. Auf diese Weise hat er sich naturwissenschaftliche, soziologische und auch medizinische Erkenntnisse des 19. Jahrhunderts angeeignet.

Vater-Schuld und Schicksalstragik

Der Dichter Storm hat einmal dem jungen Freund Erich Schmidt seine Vater-Schuld wegen des Fehlverhaltens von Hans durch die Trunksucht gestanden:
 Diese Dinge, welche dem armen Jungen, vielleicht nicht ohne culpa
 patris "Schuld des Vaters", von kindauf anhaften, fordern den, der
 sie kennt, anderseits auch zu einer milderen Beurtheilung des
 Menschen Hans auf, und rufen mein, des Vaters, ganzes Erbarmen
 auf. (24)


Auch dem Dichterfreund Paul Heyse gegenuber hat er die Frage nach der Vater-Schuld gestellt:
 Sollte die kunstlerische Anlage oder Thatigkeit die
 Nachkommenschaft beeintrachtigen, sollte da etwas verbraucht
 werden, was jenen zu Gute kommen musste? [...] Und dann--konnen
 die armen Jungen was dafur, dass sie nicht anders sind,
 als sie vielleicht nur sein konnen? Das herzzerreissende Erbarmen
 ist vielleicht noch schlimmer, als der Zorn von dem man mitunter
 befallen wird. Und Beides ganz vergeblich. Und dann: Ist auch
 eine culpa patris dabei?--" (25)


Es ist also nicht zu ubersehen, dass die Frage nach der Vater-Schuld bei den Problemen von Trunksucht und nach den Erbanlagen sowohl in Storms realem Leben (26) als auch in der Figur Carsten Curator in der gleichnamigen Novelle aufgeworfen wird. Heinrich redet zu Anne: "Was kann ich dafur, wenn der Wein, den ich trinke, meinem Vater Kopfweh macht?" (509). Die Trunksucht ist zwar nicht der hauptsachliche Grund fur Heinrichs Untergang bei der Sturmflut, und seine Schwache wird sowohl "biologisch" als auch "gesellschaftlich" (Goldammer 148) (27) determiniert, doch wird Carsten durch eine "culpa patris," durch eine Vater-Schuld, belastet. (28) Man denke beispielsweise an die Stelle, wo Carsten zu Heinrich sagt: "Ich bin weit mit dir gegangen, Heinrich; [...] Ich gehe nun nicht weiter [...]--Wir bussen Beide dann fur eigene Schuld" (515). Jedoch bestritt Storm, dass es sich bei Carsten Curator um "Schuld und Suhne" handele, auch nicht um die individuelle Schuld, sondern um eine "fatalistisch aufgefasste Naturgesetzlichkeit, eine Art sakularisierte Erbsunde" (Goldammer 148), die sich zu einem "unabwendbaren Fatum" gestaltet und den "Schuldlosen in Mitschuld" hineinreisst, wie es aus seinem Brief an Erich Schmidt vom 24. und 27. September 1877 hervorgeht:
 Die [...] Schuld ist allerdings nicht das Wesentliche in dieser
 Dichtung; es handelt sich darin uberhaupt nicht um Schuld u.
 Suhne; sondern um eine Naturnothwendigkeit, die sich zu
 einem unabwendbaren Fatum gestaltet und den Schuldlosen
 in Mitschuld hineinreisst; auch der Sohn, der diess veranlasst,
 ist ruckwarts durch sein Blut gebunden. (29)


Ingeborg Welp interpretiert in ihrer Dissertation, dass diese Naturgesetzlichkeit so viel wie die "Abhangigkeit des Menschen von transzendenten Machten" bedeute; hier erkenne man "das Unnennbare, das plotzlich auftaucht und als Verhangnis sich unaufhaltsam fortentwickelt" (Welp 3), eine Sichtweise, die in vielen Novellen Storm vorkomme. Im September 1881 schreibt Storm an Erich Schmidt dazu, dass in dieser Novelle das eigentlich tragische Schicksal in der "Schuld oder Unzulanglichkeit des Menschenthums", in der "Vererbung des Blutes" liege. Das unabwendbare Fatum wird zwar zum Schluss besonders durch seine sentimentale Erzahlweise abgeschwacht, jedoch fungiert die Novelle als ein deutendes Kunstwerk, das sich der einfuhlsamen Menschlichkeit bedient, um moglicherweise die Unzulanglichkeit des Lebensdaseins zu sublimieren, so wie wir im Ausgang der Novelle erfahren, dass durch den Enkel die Menschheit weiterlebt:
 die Hoffnung wachst mit jedem Menschen auf; aber Keiner
 denkt daran, dass er mit jedem Bissen seinem Kinde zugleich
 ein Stuck des eigenen Lebens hingibt, das von demselben bald
 nicht mehr zu losen ist. Heil dem, dessen Leben in seines Kindes
 Hand gesichert ist; aber auch Dem noch, welchem von Allem,
 was er einst besessen, nur eine barmherzige Hand geblieben ist,
 um seinem armen Haupte die letzten Kissen aufzuschutteln. (521-22)


Heinrichs Witwe Anna pflegt Carsten liebevoll, und im Enkel bleiben Trost und Hoffnung erhalten; es ist ein Trost gegen das Bewusstsein des "Zeit- und Verganglichkeitsgefuhl(s)" (Hilbig 14), das gerade den "Grundakkord" (ebd.) der gesamten Welt- und Lebensauffassung Theodor Storms bilde und in fast allen spateren Werken Storms eine zentrale Aussag darstelle. Um das Zeit- und Verganglichkeitsgefuhl auszudrucken, gestaltet Storm die Familie (in Carsten Curator mit den Motiven Bierbaum, Familienbild und Familientradition) als Thema, denn er glaubt, es gebe da eine "haltbare Kette," die "das Vergangene an die Gegenwart" binde. Fur ihn liegt die Bedeutung der Familie in der Sehnsucht nach Fortleben, auch nach Fortleben der Erinnerung, so wie auch seine Darstellungen des Todes der Erinnerung des Lebens gelten, so wie es Wolfgang Fruhwald konstatiert, der von der "letzten triumphierenden Regung der Lebensenergie gegen den Schatten des Todes" (Fruhwald 11) spricht.

Schluss

Storms Novelle Carsten Curator ist ein Versuch, sich von seinen seelischen Bedrangnissen zu befreien, indem er auf poetische Weise seine Sorgen um den der Trunksucht verfallenen und spater von der Lungenkrankheit befallenen Sohn Hans gestaltet. Er schliesst sich dabei an die naturwissenschaftlichen, medizinischen sowie soziologischen Erkenntnisse des 19. Jahrhunderts an, insbesondere an die Vererbungslehre. Er versucht, die Trunksucht als moglicherweise durch die Erbanlage verursachtes Unheil und die damit zusammenhangende Schuldfrage eines Vaters in seiner Novelle zur Sprache kommen zu lassen. Den verhangnisvollen Einflussen von Erbfaktoren gegenuberstehend erkennt er die unausweichlichen schicksalhaften Begebenheiten durch die Naturmachte an - eine Versinnbildlichung der Unzulanglichkeit des Menschendaseins. Er kommt zur Erkenntnis, dass erst durch die Menschlichkeit und die Liebe Trost und Hoffnung ins Leben gebracht werden konnen, wobei das Fortdauern der Familien als das Ideale angesichts der Verganglichkeit der Zeit fungiert. Sein Briefwechsel u. a. mit der Familie und dem Dichterkollegen Paul Heyse sowie dem jungen Literaturwissenschaftler und Freund Erich Schmidt dient als Auseinandersetzung mit seinen inneren Bedrangnissen, sowohl im realen Leben als auch als Reservoir fur seine literarische Werkstatt, fur sein dichterisches Schaffen. In diesem Sinne sind in der Novelle Carsten Curator seine biographischen Zuge mit der poetischen Gestaltung der Welt ineinander zu einer Einheit verschmolzen, um sein Geschichtsbild und zugleich die zeitgenossische Wirklichkeit darzustellen.

Anmerkungen

(1) Storm an Albert Niess vom 8.6.1881. Th. Storm. Briefe. Hrsg. v. Peter Goldammer. Bd. 2, 220; zit. n. Peter Goldammer, "Culpa patris? Theodor Storms Verhaltnis zu seinem Sohn Hans und seine Spiegelung in den Novellen ,Carsten Curator' und ,Hans und Heinz Kirch'" 150.

(2) Georg Bollenbeck stellt fur Storm das Prinzip der "Werkbiographie" fest, d. h. die "Orte und das Personal, die Stoffe und die Motive stammen [...] aus der eigenen Lebenswelt." Bollenbeck, Theodor Storm. Eine Biographie 17f.

(3) Aus dem Briefwechsel zwischen Storm und Lorenzen am 23.5. 1877 und Pietsch am 15.9. 1877, siehe Kommentar zu "Carsten Curator", Band 2: Theodor Storm. Novellen 1867-1880 hrsg. v. Karl Ernst Laage. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag, 1998. 947.

(4) Storm an Hans am 22. Mai 1871; zit. n. Karl Ernst Laage, "Culpa patris". Zur Frage nach der Schuld des Vaters in Storms Novelle "Carsten Curator" 12, Anm. 8.

(5) Zitate aus Storms Briefen an Paul Heyse (am 3. Nov. 1878: "Bei meinem Sorgensohne ..."), auch an Karl (am 17. Sept. 1878: "Von meinem Sorgenkind ..."), an Hans (am 22. Febr. 1872: "mein alter Junge, der Du eigentlich meine ungluckliche Liebe bist"); zit. n. Karl Ernst Laage, ebd., Anm. 5.

(6) Die in Klammern eingesetzten Seitenangaben beziehen sich auf die folgende Ausgabe: Theodor Storm. Samtliche Werke in vier Banden. Band 2: Novellen 1867-1880 hrsg. v. Karl Ernst Laage. Sonderausgabe. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag, 1998. Carsten Curator 456-522.

(7) Storms Brief an Gottfried Keller vom 15. November 1878, vgl. Der Briefwechsel zwischen Theodor Storm und Gottfried Keller hrsg. v. Peter Goldammer. Berlin: Aufbau-Verlag, 1960.

(8) Storm, Carsten Curator 5. Hartmut Patzold vergleicht Carstens Begegnung und seine Unterwerfung unter die Schonheit Julianes mit dem Motiv der Loreley, die mit ihrem erotischen Narzissmus den Mann verfuhrt und die "Sehnsucht des mannlichen Ichs" wachruft, "in einen Zustand elementarer Selbstbezogenheit jenseits aller burgerlichen Verpflichtungen" zu regredieren; Patzold, "Der verunsicherte Burger" 138; vgl. Auch Markus Winkler. "Mythos Loreley." Joseph A. Kruse (Hrsg.). "Ich Narr des Glucks". Heinrich Heine 1797-1856. Bilder einer Ausstellung. Stuttgart 1997. 408-414; hier 413; zit. nach Patzold, ebd., 138, Anm. 40.

(9) Marianne Wunsch. "Experimente Storms an den Grenzen des Realismus: Neue Realitaten in ,Schweigen' und ,Ein Bekenntnis'", 15. Wunsch weist insbesondere auf die Passage in der Novelle hin zur Kennzeichnung der "schwindenden Autarkie des Ichs": "Damals--ja, damals hatte er sein Leben selbst gelebt; jetzt tat ein Anderer das; er hatte nichts mehr, das ihm selbst gehorte--keine Gedanken--keinen Schlaf--." Storm, Carsten Curator 501.

(10) Irene Ruttmann. Nachwort zu Theodor Storm. Carsten Curator. 82. Thomas Nipperdey stellt dar, dass die Familie, das Haus und die starke Gemeinschaft uber die Generationen hinweg zum "Ruhepunkt in dieser unruhigen Welt" bei Storm werden. Nipperdey. Deutsche Geschichte 1800-1866. Burgerwelt und starker Staat. 5. Auflage. Munchen 1991; zit. n. Gerhard Baumann. "Storm im Geschichtsbild des Historikers" 128.

(11) Nach Josef De Cort gilt das Ethische im Gesamtwerk Storms als: "Treue und Redlichkeit, ernste Erfullung einer Aufgabe, Pflichtgefuhl, Heimatliebe, unbestrittene Ehepflicht, Ehrfurcht vor dem Leben, selbstlose Liebe zur Familie und zum Nachsten." Cort, "Die Rolle der Ethik in Storms epischem Werk" 106.

(12) Erschienen Westermann's Illustrierte Deutsche Monatshefte 37, Okt. 1874 u. Nov. 1874. 32-45 u. 159-170.

(13) Kommentar zu "Carsten Curator": Wirkung und Wurdigung. Band 2: Theodor Storm. Novellen 1867-1880 hrsg. v. Karl Ernst Laage. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag, 1998. 956.

(14) Storm an Hans vom 11. Nov. 1871 und vom 29. Marz 1872; zit. n. Peter Goldammer, "Culpa patris?" 146, Anm, 18 u. 19.

(15) Ungedruckt, SHLB-Kiel, zit. n. Karl Ernst Laage, ",Culpa patris'. Zur Frage nach der Schuld des Vaters in Storms Novelle ,Carsten Curator'"12, Anm. 11.

(16) Storm an seinen Bruder Otto vom 22. Dez. 1883; zit. n. Peter Goldammer, "Culpa patris?" 146.

(17) Bereits 1867 hat Storm das Motiv Schuld eines Vaters in seiner Novelle "Aquis submersus" gestaltet. In der Novelle "Hans und Heinz Kirch" wird nicht nur das Schuldgefuhl des Vaters Kirch gezeigt, sondern auch seine subjektive Schuld als solche.

(18) Auch schon in der Novelle "Aquis submersus" ist von der Erbanlage die Rede: "Wie ratselhafte Wege gehet die Natur! Ein saeculum und druber rinnt es heimlich wie unter einer Decke im Blute der Geschlechter fort; dann, langst vergessen, taucht es plotzlich wieder auf, den Lebenden zum Unheil [...]" Theodor Storm. Samtliche Werke in vier Banden. Band 2: Novellen 1867-1880 hrsg. v. Karl Ernst Laage. 402. Zum Thema Vererbung und Alkoholismus in Storms Werken siehe John H. Ubben. "Heredity and Alcoholism in the Life and Works of Theodor Storm." The German Quarterly 28.4 (1955): 231-236. Auch wenn Wiebke Strehl darauf hingewiesen hat, dass diese Studie "einige Tatsachen zu verzerren" scheine, dass Ubben versaume, "detalliert auf die einzelnen Novellen einzugehen," und nicht "auf einen gesellschaftskritischen Ansatz Storms und weiterreichende Kritik an der Familie" hinweise, ist sie allerdings die erste uber die Vererbung. Strehl. Vererbung und Umwelt: Das Kindermotiv im Erzahlwerk Theodor Storms. 15, Anm. 26, u. 10. Strehl hat die geschichtliche Bedeutung der Themen Alkoholismus und Vererbung, die als zusammenhangende Themen fur Storms Spatnovellen gelten, uberhaupt nicht beachtet, obwohl sie in ihrem Werk die Bereiche "Vererbung und Umwelt ..." untersucht.

(19) Diese Thematik tritt unter dem Einfluss von Emil Zola bei den Naturalisten in einigen Werken auf, insbesondere in Gerhart Hauptmanns Drama "Vor Sonnenaufgang," und ansatzweise in den Dramen "Die Weber" sowie "College Crampton," wie auch in Arno Holz und Johannes Schlafs Prosawerk "Papa Hamlet" und in dem Drama "Die Familie Selicke". Siehe auch Gunter Schmidt. Die literarische Rezeption des Darwinismus: Das Problem der Vererbung bei Emile Zola und im Drama des deutschen Naturalismus. Sitzungsberichte der sachsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-historische Klasse; Band 117, Heft 4. Berlin: Akademie, 1974. Zu Alkoholismus und die Naturalisten siehe auch das bisher in der Forschung vernachlassigte einaktige Drama "Steintrager Luise" von dem Naturalisten Georg Hirschfeld. Mei-ling Wang, "Der Alkoholismus. Georg Hirschfelds Drama Steintrager Luise." Fu Jen Studies 36 (2003): 28-41.

(20) Theodor Storm. Samtliche Werke in vier Banden. Band 3: Novellen 1881-1888. 376.

(21) Stellenkommentar zu "John Riew'"; Theodor Storm. Samtliche Werke in vier Banden. Band 3: Novellen 1881-1888 hrsg. v. Karl Ernst Laage. 920.

(22) Goldammer, "Cupla patris?" 147; auch Franz Stuckert. Theodor Storm. Sein Leben und seine Welt. Bremen 1955. 103f.

(23) Meine These stutzt sich auf die unveroffentliche Untersuchung zu "Alkoholismus und seine Auswirkung auf die Familienverhaltnisse am Beispiel der Werke der Naturalisten" wahrend meines Forschungsaufenthalts in Deutschland mit Unterstutzung des DAAD, Sommer 2002. Forels Verdienste liegen u.a. auch in den Veroffentlichungen uber die verheerenden Wirkungen des Alkohols, vor allem in Hinblick auf die physischen sowie psychischen Schaden im Hinblick auf den Alkoholismus. Dazu siehe den Brief von Paul Julius Mobius an August Forel vom 21. Nov. 1891. August Forel. Briefe. Correspondance 1864-1927. Hrsg. v. Hans H. Walser mit einem Vorwort von Prof. Manfred Bleuler. Bern, Stuttgart: Hans Huber 1968. 252, Anm. 9; 263, Anm. 24. Es wurden ausserdem um 1880 Abstinenzvereine, wie z. B. die Guttempler in Deutschland, etwa in Schleswig Holstein und in Berlin, gegen den Missbrauch geistiger Getranke gegrundet. Zahlreiche Arzte, Juristen, Geistliche und Volkswirte beschaftigten sich mit der Trunksuchtfrage und haben den Ernst dieser Frage fur das gesamte Volksleben anerkannt. Die Trunksucht galt damals als "Volksfeind". Wilhelm Martius. Die Behandlung der Trunksuchtsfrage in Deutschland. Halle: Ploss'sche Buchdruckerei, 1890. 11. Hans Eichentopf weist auch auf das damals viel diskutierte Thema hin: "Anfang der 1880er Jahre muss diese Theorie Tagesgesprach gewesen sein und gleichsam in der Luft gelegen haben." Eichentopf. Theodor Storms Erzahlungskunst in ihrer Entwickelung. 2. Zu Alkoholismus siehe Emil Abderhalten. Bibliographie der gesamten wissenschaftlichen Literatur uber den Alkohol und den Alkoholismus. Berlin, Wien: Urban & Schwarzenberg, 1904.

(24) Brief an Erich Schmidt, datiert vom 5. April 1877; zit. nach: Kommentar zu "Carsten Curator": Quellen. Theodor Storm. Samtliche Werke. Band 2: Novellen 1867-1880 hrsg v. Karl Ernst Laage. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag, 1998. 950.

(25) Storms Brief an Paul Heyse vom 22. Oktober 1879. Theodor Storm--Paul Heyse. Briefwechsel. Kritische Ausgabe. Erster Band: 1853-1875 hrsg. v. Clifford Albrecht Bernd. Berlin: Erich Schmidt, 1969. 52.

(26) Vgl. Storms Brief an Erich Schmidt, datiert vom 30. Marz 1877. Theodor Storm - Erich Schmidt. Briefwechsel. Erster Band: 1877-1880 hrsg. v. Karl Ernst Laage. 32. Ausser der Schuld gegenuber dem Sohn Hans hat Karl Ernst Laage auf Storms personliche Schuld hingewiesen, dass Storm mit Constanze eine Cousine geheiratet und so den Ausbruch von - in der Familie latent vorhandenen - verhangnisvollen Erbanlagen forciert (Laage, "Die Schuld des Vaters" 11) und dass Storm in der Fruhzeit seiner Ehe mit Constanze eine Affare mit Doris Jensen gehabt habe, siehe Laage, "Culpa patris" 8f.

(27) Peter Goldammer, "Culpa patris? Theodor Storms Verhaltnis zu seinem Sohn Hans" 148. Wolfgang Tschorn sieht die Ursache fur Heinrichs Untergang in der Wirtschaftsform, indem er konstatiert: "Doch Ursache der Zerstorung ist nicht die Vererbung, wie Carsten Curator es vermutete, sondern die neue Form der Wirtschaftsweise, die den Individuen scheinbar garantiert, das ,grosse Geschaft' zu machen. Tschorn. Idylle und Verfall. Die Realitat der Familie im Werk Theodor Storms. Bonn: Bouvier Verlag Herbert Grundmann, 1978. 156.

(28) Storm selbst sieht fur Carsten die Schuld darin, dass er seine Pflichten als Curator seiner Pflegetochter Anna gegenuber vernachlassigt; und er ist auch mitschuldig dadurch, dass er Anna Heinrichs in den Briefen dokumentiertes Verbrechen verschweigt. Siehe Storm an Niess vom 26. Marz 1878 u. Storm an Erich Schmidt vom 24. Sept. 1877; zit. n. Karl Ernst Laage, "Die Schuld des Vaters" 21, Anm. 40.

(29) Theodor Storm - Erich Schmidt. Briefwechsel. Kritische Ausgabe hrsg. v. Karl Ernst Laage. 2 Bde. Berlin 1972-76. Bd. I, 62. Uber das Thema ,,Schuld des Vaters" hat sich Storm bereits 1867 in der Novelle "Aquis submersus" geaussert, in der er seine eigene Theorie des epischen Tragischen entwickelt; erst in Carsten Curator wird das Thema durch die Vaterfigur Carsten ausfuhrlicher behandelt.

(30) Ingeborg Welp. Das Problem der Schicksalsgebundenheit in Novellen Theodor Storms. Diss. Univ. Frankfurt am Main 1952. 3. Welps Feststellung stutzt sich allerdings auf die These von Bernhard Bruch: "Die ,unerhorte Begebenheit' [...] als eine schicksalhafte Wende, die sich im Leben des Menschen vollzieht, ohne dass er darauf auch nur den geringsten Einfluss hatte. Irgend etwas ,geschieht' ihm, dem er machtlos gegenubersteht, ohne die Entschlussfreiheit, in deren Besitz wir den Helden der Tragodie bis zum Untergang wissen." Bernhard Bruch. "Novelle und Tragodie: zwei Kunstformen und Weltanschauungen." Zeitschrift fur Asthetik und allgemeine Kunstwissenschaft. Bd. 22. 1928; zit. n. Ingeborg Welp, ebd., 2.

(31) Theodor Storm - Erich Schmidt. Briefwechsel, ebd., Bd. II, 49.

(32) In Storms Brief an Theodor Mommsen vom 12. Okt. 1884 ausserte er sich uber die Vererbung als das "moderne Schicksal," dem nicht auszuweichen ist und wodurch man "trotz ehrlichen Kampfes dennoch mit der Weltordnung in Konflikt, auch wohl zum Untergang kommt."; zit. n. Regina Fasold, "Theodor Storms Verstandnis von ,Vererbung'" 54, Anm. 28; ahnliches ausserte Storm in den Aufzeichnungen "Was der Tag giebt": " [...] Der vergebliche Kampf gegen das, was durch die Schuld oder auch nur die Begrenzung, die Unzulanglichkeit des Ganzen, der Menschheit, von der der (wie man sich ausdruckt) Held ein Teil ist, der sich nicht abzulosen vermag, und sein oder seines eigentlichen Lebens herbeigefuhrter Untergang scheint mir das Allertragischste [...]" Gertrud Storm. Theodor Storm. Ein Bild seines Lebens. 175f.

(33) Nach J. M. Ritchies Untersuchung gelten die "Verganglichkeit" und das "Bewusstsein der Zeit" als Hauptmerkmale des deutschen Realismus, denn die Realisten wollten "das ideale Bild der alten Welt bewahren, ehe es auf immer verblasste und verschwand." Ritchie, "Theodor Storm und der sogenannte Realismus", 27; zu Storms Verganglichkeitsgefuhl siehe auch Regina Fasold "Zu einigen Aspekten von Theodor Storms Weltbild" 106.

(34) Siegfried Lenz. "Erlittenes Verganglichkeitsgefuhl. Zum hundertsten Todestag von Theodor Storm." Frankfurter Allgemeine Zeitung. Samstag, 2. Juli 1988. Nr. 151.

Benutzte Literatur

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