Das Ratirahasya des Kokkoka und der Anangaranga des Kalyanamalla.
Fidora, Alexander
Das Ratirahasya des Kokkoka und der Anangaranga des Kalyanamalla.
Zwei indische Lehrbucher der Liebeskunst. Aus dem Sanskrit ubersetzt und
erlautert von Klaus Mylius, Wiesbaden: Harrassowitz Verlag (Beitrage zur
Kenntnis sudasiatischer Sprachen und Literaturen 19), 2009, 163 pp.,
ISSN 0948-2806.
Eine annotierte Ubersetzung des beruhmten altindischen
Erotiklehrbuchs Kamasutra von Klaus Mylius erschien bereits 1987 und
erlebte seitdem zahlreiche Neuauflagen. Doch auch nach dem 3.
Jahrhundert, in dem das Kamasutra vermutlich erschien, wurde die
Liebeskunst in der altindischen Literatur weiter thematisiert. In erster
Linie sind die hier in Ubersetzung vorgelegten Leitfaden--das
Ratirahasya und der Anangaranga--zu nennen. Es ist von grossem
kulturgeschichtlichem Interesse zu verfolgen, wo diese spateren Werke
vom Kamasutra abweichen bzw. uber diesen hinausgehen.
Die seit 1993 von Klaus Mylius in Etappen vorgenommenen
Ubersetzungen waren uber viele Jahre und zwei wissenschaftliche
Zeitschriften verstreut. Der Herausgeber der "Beitrage zur Kenntnis
sudasiatischer Sprachen und Literaturen", Prof. Dr. Dieter B. Kapp,
hat das Verdienst, die einzelnen Teile der Ubersetzung zusammengefasst
und so bequem zuganglich gemacht zu haben. Er und seinerzeit Prof. Dr.
Rahul Peter Das (Halle) haben als fachkundige Berater zum Gelingen des
Werkes beigetragen.
In der Einleitung fuhrt Klaus Mylius gegenuber fruheren Ansichten
den Nachweis, dass das Ratirahasya noch im 1. Jahrtausend verfasst
wurde. Der Anangaranga ragt mit einer Entstehungszeit in den ersten
Jahren des 16. Jahrhunderts bereits weit in die mohammedanische Ara
Nordwest-Indiens hinein. Die Texte gehoren an sich zur erfreulichen
Seite des menschlichen Lebens, sind aber--besonders das Ratirahasya--in
alles andere als einem luziden Stil gehalten, so dass mandem Ubersetzer
grosstes Lob aussprechen muss.
Nicht nur die Ubersetzung, sondern auch die mit grosser Sorgfalt
und Sachkenntnis verfassten Anmerkungen--es sind nicht weniger als
1144--gewahren dem Benutzer eine Fulle von Informationen und
Erlauterungen. Allein die Eruierung der zahlreichen Pflanzennamen ist
ein Gewinn--nicht nur fur den Indologen, sondern auch fur den Botaniker.
Aber auch Mediziner und Kulturgeschichtler werden aus dem Buch neue
Anregungen schopfen. Dem Herausgeber gebuhrt Dank dafur, dass er eigens
fur die Pflanzennamen ein Register angelegt hat.
Es erhebt sich immer wieder die Frage, ob die in beiden Werken in
grosser Zahl gegebenen "Rezepturen" (die meist der
Quantitatsangaben ermangeln) einen wirklichen Effekt hervorbringen oder
lediglich Produkte von Wunschphantasien sind. Wie in der Einleitung (S.
17) bemerkt wird, wurde diese Frage im Kem schon 1929 aufgeworfen; es
ware also an der Zeit, sich um ihre Losung zu bemuhen. Die in den
Anmerkungen hierzu gemachten Angaben sind zwar ein Anfang, reichen
jedoch bei weitem nicht aus, zumal sie die Kompetenz eines Indologen
uberschreiten.
Der fur die Forderung der Orientalistik weltbekannte Verlag
Harrassowitz hat auch dieses Buch in einer tadellosen Ausstattung
ediert; Druck- und Papierqualitat sind erstklassig.
Alexander Fidora
ICREA--Universitat Autonoma de Barcelona