Soren Stark: Die Altturkenzeit in Mittel- und Zentralasien. Archaologische und historische Studien.
Scharlipp, Wolfgang-E.
Soren Stark: Die Altturkenzeit in Mittel- und Zentralasien.
Archaologische und historische Studien. Wiesbaden 2008. Dr. Ludwig Reichert Verlag; Nomaden und Sesshafte Bd. 6. 452 Sn. 7 Karten, 116
Tafeln. ISBN 978-3-89500-532-9.
Der Titel des Buches ist vorsichtig, aber dem Inhalt des Buches
entsprechend richtig formuliert. Zwar geht es in der Hauptsache um die
Frage nach Kontaktergebnissen turkischer Bevolkerungsgruppen mit anderen
ethnischen Gruppen, aber als bedeutendste Macht zu jener Zeit stehen sie
im Mittelpunkt der Arbeit. Es geht im Prinzip um Kontakte, die der
Pastoralnomadismus der Turken als Grundlage fur die politische
Herrschaft im fraglichen Raume schuf.
Drei Punkte hat der Verfasser dementsprechend zunachst zu klaren:
1. Er stellt fest-was keine neue Erkenntnis ist, aber wichtig,
klarzustellen-dass Pastoralnomadismus keine primitive Entwicklungsstufe
in der Geschichte der menschlichen Zivilisation ist, sondern eine
Organisationsform, die eine Antwort auf spezifische physische und
soziopolitische Anforderungen gibt (S.4). 2. Geographisch unterscheidet
er zwischen Zentralasien und Mittelasien, Termini, die nicht
unumstritten sind und unterschiedlich in der Sekundarliteratur verwendet
werden, sowie Transoxanien, der Raum zwischen Amu-Darya und Syr-Darya.
3. Wie im Titel erwahnt, dienst zur Periodisierung der Begriff
"Altturkenzeit", die er von der Mitte des 6. bis zur Mitte des
8. Jahrhunderts ansetzt, was vertretbar ist, wenn man sich auf die Zeit der sogenannten "Kaganate" beschrankt. In Fussnote 33 bemerkt
Stark hierzu, dass der Terminus "wohl an Khanat angelehnt
ist". Richtig ist dagegen, dass der oberste Herrscher eines
"el (Reichsgebietes)" in den altturkischen Runeninschriften
"Kagan" genannt wird. Die Termini "Khan" und
"Khanat" sind daraus entstandene spatere Bildungen. Bei dieser
Gelegenheit sei eine der wenigen Kritiken angebracht: Das Zitieren
weisst haufig Schwachen auf, die durchaus vom Inhalt der Texte einen
falschen Eindruck vermitteln konnen. So wird z.B. ein Passus aus der
"Kul-Tegin-Inschrift" (richtig ist sicherlich :Kol Tegin)
zitiert, ins Deutsche ubersetzt, aber ohne Angabe der Quelle (S. 15).
Die Ubersetzungen alter Texte, und insbesondere solcher schwierigen,
weichen teilweise stark von einander ab, sodass es wichtig ist zu
wissen, von wem die Ubersetzung stammt. Hier hatte der Archaologe
vielleicht ruhig einmal den Turkologen um Rat fragen sollen. Aber dies
ist eine sekundare Beobachtung im Vergleich zu der Materialfulle im Rest
des Buches.
Der Band beschaftigt sich in der Hauptsache-wie oben erwahnt mit
den Einflussen von Bevolkerungsgruppen auf andere, zu welchem Zwecke
verschiedene Aspekte von Lebensformen untersucht werden. Schlusse zu
diesen werden aus den Quellen gezogen, die insbesondere Chinesen, Araber
und Perser uber ihre Kenntnis der Lebens Verhaltnisse im oben
beschriebenen geographischen Raum hinterlassen haben. Die grossere Rolle
allerdings spielen dabei archaologische Funde, die grundlich und
kenntnisreich analysiert werden.
Wie der Verfasser ausdrucklich sagt, werden in dem Band viele
Aspekte des taglichen Lebens behandelt, ohne dass eine Synthese
beabsichtigt wird: "Die vorliegende Studie verzichtet auf eine
detaillierte ereignisgeschichtliche Darstellung der Geschichte des
Turk-Qaganats. Hierfur liegt inzwischen eine ganze Reihe
zusammenfassender Arbeiten vor, deren Wiederholung hier nicht angezeigt
erscheint" (S. 16).
Im folgenden kurzen Kapitel uber den Forschungsstand weist der
Autor auf einige Probleme hin, wie auf die fortgeschrittene
"Diversifizierung" und daraus resultierende mangelnde
wechselseitige Kenntnisnahme durch die unterschiedlichen beteiligten
Fachdisziplinen (S. 20). Dafur kann man nach Meinung des Rez. die
Fachvertreter kaum verantwortlich machen, wie auch aus Starks Anspielung
auf die zahlreichen involvierten Sprachen hervorgeht. Nicht nur sind wir
in der Quellenliteratur mit der altturkischen, chinesischen, arabischen,
persischen, sogdischen, altgriechischen, tibetischen usw. Sprachen
konfrontiert, sondern die Ergebnisse der modernen Forschung sind u.a. in
deutscher, franzosischer, russischer, englischer, japanischer,
ungarischer, turkischer und anderen Sprachen verfasst.
Im folgenden Kapitel wendet sich Stark dann den Textquellen zu und
versucht herauszufiltern, was sie uber den Pastoralnomadismus hergeben,
wobei sich zeigt, dass, entsprechend der geographischen Herkunft einer
Quelle unterschiedliche Ergebnisse zu erwarten sind, weil zum Teil auch
unterschiedliche Aspekte hervorgehoben werden.
Teil 2 (S. 53-195) widmet sich den "Grundzugen" der
Archaologie der Altturkenzeit, wobei der Autor auf ein wichtiges Problem
verweist: "Diskussionen der archaologischen Zeugnisse der Altturken
in Mittel- und Zentralasien erfordern zunachst eine Auseinandersetzung
mit den Spezifika archaologischer Zeugnisse und ihrem Quellenstatus.
Insbesondere ergeben sich Fragen nach Zuordnungskriterien: Was macht ein
archaologisches Archefakt zugehorig zur materiellen Kultur
pastoralnomadischer Gruppen, was ist an ihm "altturkisch"?
Beide Fragen beruhren grundsatzliche methodische Probleme" (S.53).
Unter den Uberschriften "Ethnos und archaologische
Denkmaler" und "Ethnische Identitaten in den altturkischen
Steppen" wird diese Frage weiter verdeutlicht. Die Frage, ob das
Ergebnis der komplexen Ethnogenese der Turk eine gemeinsame
"ethnische" Identitat erzeugte, ist hier vielleicht noch am
leichtesten zu beantworten. Die Beantwortung geht allerdings uber die
Stark zur Verfugung stehenden Quellen hinaus. Aus den altturkischen
Inschriften selbst wird nicht klar, in wie weit sich die dort genannten
politischen Gruppen als turkisch betrachteten. Wir wissen daher auch
nicht, in wie weit der Name des Fuhrungsstammes, also der Turk, als
Identifikationsfaktor anzusehen ist. Aus anderen Quellen, besonders
spateren islamischen, wissen wir nur, welche Stamme der Herrschaft der
Turk unterstanden und welche deren Sprache sprachen.
Stark wendet sich dann den archaologischen Funden zu, die in ihrer
Vielfalt manche klare Schlusse zulassen, doch weit davon entfernt sind,
alle Fragen nach dem ethnischen Ursprung zu beantworten. Es seien hier
nur einige Beispiele dafur gegeben, welche Funde der Autor heranzieht.
Am verlasslichsten sind noch die in verschiedenen Formen Stelen,
Felsinschriften, Graffiti usw.-erscheinenden Inschriften, ebenso wie
Wandmalereien und Skulpturen, die meist im Zusammenhang mit Grabstatten
oder Denkmalern stehen. Deren Vielzahl wird auf zahlreiche Aspekte der
Sachkultur untersucht, was von Bestattungsformen bis zu einzelnen
Fundstucken reicht. Teilweise werden auch Berichte zu Bestattungen in
chinesischen bzw. griechischen Quellen herangezogen, die jedoch nicht
immer zuverlassig sind. Bei der Betrachtung der einzelnen Fundstucke in
Grabern ist die Vielzahl der untersuchten Gegenstande beachtlich; das
reicht von einzelnen Teilen der Reitausrustung uber verschiedene Waffen
bis zur Kleidung.
In Teil 3, der das Zwischenstromland betrifft, zieht Stark wieder
Quellen, vor allem aber wieder archaologische Funde heran. Es ergibt
sich hier allerdings ein sehr anderes Bild, was die Gegenwart von Turken
in dieser Gegend betrifft. In einer vorwiegend nichtturkischen,
hauptsachlich iranischen, meist wohl sogdischen, Umgebung treten Turken
hautsachlich als Regionalherrscher und militarisches Gefolgswesen auf.
Eine der Schwierigkeiten, die sich dem Forscher hier stellt, ist der
Umgang mit turkischen Titeln und Epitheta, die auch von Sogdern getragen
wurden. Allerdings mussen wir im Auge behalten, dass viele Namen und
Titel auch der ostlichen Turk nicht turkischen Ursprungs waren und
manche Probleme aufgeben. Trotzdem ist eines der wichtigsten Ergebnisse
dieser Arbeit, einige der Unterschiede zwischen der Prasenz der Turk im
Osten einerseits und im Westen andererseits verdeutlicht zu haben.
Den Sogdern und ihrem Einfluss auf die Turk ist der vierte und
damit letzte Teil gewidmet. Interessant ist hier die Feststellung, dass
die Quellenlage uber die Sogder fur das ostturkische Reich wesentlich
besser ist, als fur die West-Turk, obwohl sie im Osten ja vor allem als
Reisende, Handler, Berater usw. anwesend waren. Stark fuhrt das darauf
zuruck, dass die Chinesen deutlich besser informiert waren, was
niemanden erstaunt, der einen Eindruck von der Grundlichkeit der
chinesischen Annalen gewonnen hat.
Insgesamt liegt das Hauptinteresse des Buches auf den zahlreichen
archaologischen Funden, die dem Pastoralnomadismus zuzuordnen sind, und
dem Leser somit einen Eindruck davon vermitteln, wie reich und
reichhaltig dessen Sachkultur war, ohne sich in unklaren Fallen zu einer
ethnischen Zuordnung zwingen zu lassen.
Das Buch schliesst mit einer Zusammenfassung in deutscher,
englischer und russischer Sprache, einem umfangreichen
Literaturverzeichnis und mehreren Registern, dazu 116 Tafeln, die
zumeist mehrere Abbildungen enthalten. Auch hier spiegelt sich nicht
eine zwanghafte ethnische Zuordnung wieder, was sicher unmoglich ware.
Beeindruckend ist die Vielfalt der abgebildeten Gegenstande, die sich
von den im Text behandelten Inschriften bis zu den Fundstucken in
Grabstatten erstrecken.
Da das Buch im Rahmen des Sonderforschungsbereiches 586 der
Universitaten Halle und Leipzig entstanden ist, in dem Historiker,
Archaologen, Geographen, Orientalisten und Ethnologen das
Zusammentreffen nomadischer und sesshafter Gesellschaften erforschen,
ist das Buch fur all die hier genannten Wissenschaftler von Interesse.
Wolfgang-E. Scharlipp
University of Copenhagen