Vera Constantini and Markus Koller (eds): Living in the Ottoman Ecumenical Community. Essays in Honour of Suraiya Faroqhi.
Scharlipp, Wolfgang-E.
Vera Constantini and Markus Koller (eds): Living in the Ottoman
Ecumenical Community. Essays in Honour of Suraiya Faroqhi. Leiden,
Boston: Brill, 2008 (The Ottoman Empire and its Heritage, vol. 39) 496
pp. ISBN 978 90 04 16 575 5.
Dieser umfangreiche Band enthalt 26 Beitrage, die versuchen, die
Leistung der geehrten Wissenschaftlerin widerzuspiegeln. Die Motivation
ist gut begrundet, da keine zweite Osmanistin ihre Disziplin in solch
neue Bahnen geleitet und ihr Fach so gepragt hat.
Ihr besonderes Verdienst ist es, die Forschung in der Osmanistik
von einem rein politisch-historischen Schwerpunkt zu einer Tatigkeit
erweitert zu haben, in der auch Handel, Kultur und das tagliche Leben
der Bevolkerung ihren Platz fanden. Diese Sichtweise der Entwicklung
einer politischen Einheit fuhrte zwangsweise dazu, die einzelnen
Bevolkerungsgruppen--ethnische, religiose, berufliche usw. innerhalb der
politischen Grenzen wie auch grenzuberschreitend verstehen zu wollen.
Eine solche Betrachtung der sozialen und kulturellen Verhaltnisse
erweitert unsere Kenntnis vom Aufbau des in Frage stehenden Staates
erheblich und ist somit ein bedeutender Fortschritt im Vergleich zur
Beschrankung auf die politischen Ablaufe, bzw. administrative
Einzelheiten.
Die Untersuchung diesbezuglicher Fragen ist mit der Definition von
Bevolkerungsgruppen verbunden, wobei sich sofort die Frage nach deren
Homogenitat und geographischer Verbreitung anschliesst. Das wiederum
wirft die Frage nach der Definition von politischen, administrativen und
wieder geographischen Grenzen auf. Nach wie vor werden die
osmanisch-turkischen Termini fur den Begriff "Grenze"
diskutiert. Weder im Osmanischen Reich noch zwischen europaischen
Staaten scheinen genau gezogene Grenzen vor der Mitte des 17.
Jahrhunderts von Bedeutung gewesen zu sein, wozu im Vorwort (S.5)
verschiedene Beispiele gegeben werden.
Die Vorstellung von der "Grenze" ist die Voraussetzung
fur die Beschreibung der Art und Weise, wie sie uberschritten wurde und
wird. Jede soziale, okonomische und religiose Gruppe hatte ihre eigene
Weltanschauung, und in den meisten Fallen waren die Grenzen dieser
Gemeinschaften nicht identisch mit den politischen Grenzen. In den
folgenden Beitragen werden die fruhen modernen Staaten, hier
insbesondere das Osmanische Reich, als System verschiedener okumenischer
Gemeinschaften betrachtet, was ein besseres Verstandnis des
Interagierens dieser Gemeinschaften erlaubt. In diesem Kontext
bezeichnet der Terminus "okumenische" Gemeinschaften soziale,
okonomische und religiose Gruppen, die eine grenzuberschreitende
Existenz haben, wobei - wie oben deutlich gemacht--der Begriff der
"Grenze" unterschiedlich definiert werden kann.
Anstatt auf einzelne Beitrage einzugehen, geben wir im Folgenden
eine Zusammenfassung von Artikeln, die beispielhaft fur deren Gesamtheit
sind.
Der Hauptteil ist in sechs Kapitel gegliedert, die sich jeweils auf
verschiedene geographische, bzw. Uberschneidungen geographischer
Bereiche beziehen. So wird der erste Teil, der Istanbul zum Gegenstand
hat, von einem Beitrag uber die Amalgamierung seldschukisch/islamischer
und byzantinisch/christlicher Elemente in der Administration
eingeleitet. In diesem Kapitel kommt die ethnische, soziale und
religiose Vielfaltigkeit zur Sprache, die die Eroberung Konstantinopels
nach sich zog. Hierhin gehoren auch die Juden, die aus Spanien
vertrieben worden waren und die ein besonders deutliches Beispiel fur
eine grenzuberschreitende okumenische Gemeinschaft darstellen,
allerdings unter Berucksichtigung ihrer inneren Heterogenitat.
Trotzdem wurden solche okumenischen Gemeinschaften oft als homogene
Gruppen angesehen, wie im selben Kapitel beschrieben. So z.B. die
"turkischen" Kaufleute, die nach Venedig kamen und dort mitten
in der Stadt im "Fondaco dei Turchi" untergebracht waren.
Habsburger Quellen dagegen sahen einen monolithischen Block in den
slawischen Kaufleuten, die aus den osmanischen Gebieten kamen. Uberhaupt
bildeten Handler eine der grossten grenzuberschreitenden Gemeinschaften.
Gegenstand eines Beitrages zu diesem Thema ist die Zusammenarbeit
zwischen einer reichen bulgarischen Handelsfamilie, griechischen
Handlern und Kaufleuten aus Ragusa. Durch ihre guten Beziehungen zur
osmanischen Verwaltung einerseits und Vertretern der franzosischen
Diplomatie in Istanbul andererseits, gewannen sie gar einen gewissen
Einfluss auf die bilateralen Beziehungen dieser beiden Staaten.
Ein weiteres Kapitel beinhaltet der Artikel uber "soziale und
religiose okumenische Gemeinschaften an der Peripherie des Osmanischen
Reiches". So werden Reisende und Pilger als Vermittler zwischen
verschiedenen Kulturen angesehen. Inwieweit diese als eine homogene
Gruppe im Rahmen dieses Buches gelten konnen, sieht Rezensent jedoch als
zweifelhaft an. Am nachsten kommt man der Definition vielleicht
entgegen, wenn wir uns auf hier beschriebene Gruppen beschranken wie
Pilgerkarawanen, die auf ihrem Weg nach Mekka und Medina dem Schutz des
Sultans unterstanden oder solch homogene Gruppen wie die organisierten
Pilger aus Japan.
Andere grenzuberschreitende Gemeinschaften formten muslimische und
nicht-muslimische religiose Gruppen, wie die apostolischen Vikare, die
nach der Grundung der "Congregatio de Propagande Fide" (1622)
den osmanischen Balkan bereisten und Rom uber den Zustand der
katholischen Kirche dort unterrichteten. Franziskaner und Jesuiten
begannen die Ausweitung ihrer missionarischen Tatigkeit, und auch die
serbisch-orthodoxe Kirche, die ihre Zentren ausserhalb des Osmanischen
Reiches hatte, baute innerhalb des Reiches ein Netzwerk auf. Auf der
anderen Seite wurde die Mehrheit der Bevolkerung Bosniens nach dessen
Eroberung durch die Osmanen muslimisch, und das Stadtbild dort
veranderte sich mit den nun auftauchenden Moscheen und Medresen.
Im letzten Kapitel, das von den okumenischen Gemeinschaften
zwischen den politischen Machten des Mittelmeerraumes handelt und deren
maritimen Kontakten, kommen auch diplomatische Aktivitaten zur Sprache,
die die Freiheit der Seefahrt garantieren sollten.
Der Band wird von dem beeindruckenden Veroffentlichungsverzeichnis
Suraiya Faroqhis und einem grundlich erarbeitetem Index abgeschlossen.
Es soll zu Abschluss noch einmal hervorgehoben werden, dass die
Beitrage in diesem Bande der Vielseitigkeit der Wissenschaftlerin in
vollem Masse gerecht werden, und das Buch nicht nur eine wertvolle
Quelle fur den Osmanisten, sondern auch fur den SudosteuropaExperten von
grossem Interesse ist.
Wolfgang-E. Scharlipp
Copenhagen University