Das bevorstehende Ende unmittelbarer Zeugenschaft des Holocaust und seine Auswirkungen werden schon seit Beginn der 1980er-Jahre diskutiert. Zu beobachten ist in den vergangenen Jahren vor allem, dass das Schicksal und die Perspektive von Kindern immer deutlicher in den Vordergrund treten, den letzten Überlebenden der Verbrechen. Das Wissen über den systematischen Massenmord an den europäischen Judenheiten ist jedoch bereits seit langem keineswegs vorrangig durch familiäre Erzählungen, Gespräche mit „Zeitzeugen“ oder auch Gerichtsverfahren vermittelt worden, sondern vielmehr medial – durch Museen und Ausstellungen, Filme und Bücher, seien sie wissenschaftlich, autobiographisch oder literarisch. Dem Übergang vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis kommt somit wohl vor allem eine symbolische Bedeutung zu. Das Sterben der „Zeitzeugen“ scheint dabei nicht ausschließlich mit Bedauern erwartet, sondern teilweise – natürlich unausgesprochen und unbewusst – sogar herbeigesehnt zu werden. Der Soziologe und Forschungsanalytiker Christian Schneider spricht diese nur schwer einzugestehende Ambivalenz in seinem Beitrag zum neuen Jahrbuch des Frankfurter Fritz-Bauer-Instituts an. Der moralische Reflex auf seine These ist vorprogrammiert. Doch als Entronnene exzessiver Gewalt überfordern die Überlebenden ihr Publikum; sie konfrontieren uns mit einer monströsen Destruktivität, der wir uns letztlich immer noch nicht angemessen zu stellen vermögen.