Heute spricht man kaum noch von Modernisierung, wenn es um die gesellschaftliche und politökonomische Entwicklung im 20. Jahrhundert geht, zumal in dessen zweiter Hälfte. Seit dem Übergang von den 1980er-Jahren in die 1990er trat der Zustandsbegriff „Moderne“ an die Stelle des Verlaufsbegriffs „Modernisierung“. Darin schlug sich die Zeiterfahrung einer immer weiter zunehmenden Beschleunigung nieder, die von der wachsenden Dynamik des marktradikalen Neoliberalismus erzeugt wurde. Und es äußerte sich darin die Wahrnehmung, dass die sozialplanerische Gestaltung von Zukunft, die dem Verständnis von Modernisierung zugrunde lag, ins Leere ging. Der beschleunigte Wandel im Zeitalter des digitalen Finanzmarkt-Kapitalismus seit etwa 1990 ließ Planungen obsolet werden, weil deren Zukunftsvorstellungen oftmals schon überholt waren, wenn die geplante Zukunft Gegenwart wurde. Was aber war die Moderne? Sie verbürgte und repräsentierte nicht nur den Fortschritt, nicht nur das Voranschreiten der Menschheit zum Besseren, Höheren. Vielmehr nahmen die Zeitgenossen am Ende des 20. Jahrhunderts verstärkt die Schattenseiten der Moderne wahr und richteten den Blick auf die Kosten von Modernisierung. Nicht nur die Menschheitskatastrophen beider Weltkriege, des Holocaust und der vielen Genozide seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts, sondern der gnadenlose Verschleiß von Menschen und Natur im Zuge wirtschaftlich bedingter Migration und Umweltzerstörung ließen die Moderne reflexiv werden. Die Folgen von Modernisierung waren durch immer weiter gehende Modernisierung nicht mehr zu bewältigen.