Nicht zuletzt mit den aktuellen Debatten um die deutschen Opfer von Bombenkrieg und Vertreibung sind die kollektiven Gefühle in den zeithistorischen Diskurs zurückgekehrt. Dass die Auseinandersetzung um die (nationale) Vergangenheit allerdings nicht nur bei diesen Themen emotional aufgeladen ist, macht die aktuelle Doppelnummer der Zeitschrift Ästhetik & Kommunikation deutlich, die von Alexander Cammann, Jens Hacke und Stephan Schlak herausgegeben wurde und dem Thema „Geschichtsgefühl“ gewidmet ist. Obwohl weder der Brand-Diskurs um Jörg Friedrich noch der Streit um das Vertriebenen-Zentrum direkt aufgegriffen werden, geht es auch in diesem Heft vornehmlich um die doppelte deutsche Vergangenheit und ihre stete Gegenwart nach 1990. Zwar weist Ernst Nolte in seinem Interview auf die allgemeine Bedeutung von Emotionen in der Geschichte hin, indem er gegen den (marxistischen) Glauben an die Interessengeleitetheit historischer Akteure ins Feld führt, dass Menschen primär „von ihren Überzeugungen, ihren Passionen und ihren Emotionen“ geleitet seien. Doch in der Mehrzahl der Beiträge geht es nicht um die Frage nach Funktion und Bedeutung von Gefühlen in der Geschichte, sondern um die emotionale Aufladung, um die affektive Valenz der historischen Vergangenheit in der erinnernden Gegenwart. „Mein Geschichtsgefühl, Deutschland betreffend“, so wird der einem auf Seite 13 fotografisch entgegengrübelnde Martin Walser zitiert, „ist der Bestand aller Erfahrungen, die ich mit Deutschland gemacht habe.“ So wie Martin Walser denken auch die meisten der Autorinnen und Autoren beim Thema Geschichtsgefühl vornehmlich an Deutschland und sind dabei, wenn nicht um den Schlaf, so doch in Wallung gebracht.