Die Deserteure der Wehrmacht – die genaue Zahl ist unbekannt, 15.000 verurteilte die NS-Militärjustiz zum Tode – waren nach 1945 Gegenstand außerordentlich wechselhafter öffentlicher und wissenschaftlicher Diskussion. Bis Ende der 1970er-Jahre im Zeichen der Wiederbewaffnung Deutschlands und des weithin ungetrübten Bildes von der Wehrmacht tabuisiert oder stigmatisiert, verschaffte ihnen das friedensbewegte Klima der 1980er-Jahre und der Anstieg der Kriegsdienstverweigererzahlen ungeahnte Popularität; oft wurden sie als die eigentlichen (Anti-) Helden der Wehrmacht und die wahren Widerstandskämpfer gegen den NS-Terror gefeiert. Erst in den 1990er-Jahren hat sich allmählich eine andere Sichtweise durchgesetzt, derzufolge die meisten Deserteure nicht so sehr aus prinzipiellem Widerstand gegen das NS-Regime oder gar gegen seine Vernichtungspolitik gehandelt hätten, sondern aus dem Verlangen nach Zivilität und Individualität, das heißt aus Überdruss am militärischen Schikanierungs- und Unterdrückungsapparat – auch wenn dabei berücksichtigt blieb, dass in einer auf totale Beherrschung und Kontrolle seiner Bürger ausgerichteten Diktatur schon dieses Beharren auf einem ‚eigenen Leben’ Protest darstellt. In dieser in den letzten Jahren abgeflauten Diskussion um Motive, Lebenswege und Entscheidungsprozesse der Wehrmachtdeserteure schafft es Magnus Koch mit seiner an der Universität Erfurt bei Alf Lüdtke entstandenen Dissertation in zweierlei Hinsicht einen Meilenstein zu setzen.