„Leider gibt es über Skandale kaum Literatur, die nicht selbst skandalös wäre.“ Dieses Diktum Niklas Luhmanns stammt aus dem Jahre 1968, einer Zeit, in der Skandalprozesse noch vorwiegend ein Thema der Pitaval -Literatur waren. [ 1 ] In der Wissenschaft ging man hingegen eher naserümpfend hinweg über die causes célèbres der Vergangenheit, mit ihren schlüpfrigen Details, unverständlichen Emotionsausbrüchen und überkommenen Moralvorstellungen. Seitdem sich die Gesellschaftswissenschaften von ihrem kulturkritischen Ballast befreit haben, hat das Thema hingegen Konjunktur bekommen. Soziologen und Politikwissenschaftler sehen im Skandal heute nicht mehr wertezersetzende Ausbrüche des Pöbelressentiments oder massenmediale Ablenkungsmanöver herrschender Eliten, sondern öffentliche Normkonflikte und politische Selbstreinigungsmechanismen, die zum Alltag der demokratischen Mediengesellschaft gehören wie Parlamentsdebatten und Politbarometer. [ 2 ] Im Zuge des medial turns der Neuen Politikgeschichte hat sich schließlich auch die Historie des lang vernachlässigten Phänomens angenommen. [ 3 ] Die vorliegende Arbeit von Frank Bösch, seit 2007 Inhaber der Professur für Fachjournalistik Geschichte in Gießen, liefert nun für die Zeit um 1900 ein erstes Resümee der noch jungen historischen Skandalforschung.