Am 22. März 1956 referierte Karl Schirdewan auf der 26. Tagung des ZK der SED über Chrustschows berühmte Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU. Otto Buchwitz, ehemaliger Sozialdemokrat und Widerstandskämpfer, teilte den Mitgliedern des Gremiums daraufhin tief erschüttert mit, dass er sich bei der Schilderung der stalinistischen Gräuel wieder zurückversetzt gefühlt habe in die Gestapo-Haft in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße: „Da wurde alles wieder lebendig in mir. Aber damals waren wir Genossen es, die von Faschisten gefoltert wurden. Doch was wir heute erfahren haben, da handelt es sich um Genossen, um unsere Genossen, die von einem Genossen gefoltert worden sind. Darüber komme ich nicht hinweg. Nein, das kann ich heute noch nicht fassen.“ Ganz anders hatte wenige Wochen zuvor Otto Grotewohl, DDR-Ministerpräsident und Ko-Vorsitzender der SED, auf Chrustschows Enthüllungen reagiert, als er während des XX. Parteitages in Moskau weilte: „Es geht nicht um Beruhigung des schwankenden und erschütterten Gewissens, sondern es geht um Festigkeit des sozialistischen Lagers, um Festigung der DDR. Es darf kein Zittern und Schwanken geben, sondern Festigkeit – Ruhe – Sicherheit“ (S. 553f.). Diese beiden Zitate illustrieren eindrücklich, wie weit sich Otto Grotewohl seit Gründung der SED von seinen sozialdemokratischen Wurzeln getrennt hatte, wie sehr seine Politikauffassung bestimmt wurde vom alles entscheidenden Aspekt des Machterhalts, dem gegenüber humanitäre Bedenken, Gefühle des Zweifels, auch Freundschaften nicht zählten. Diesen Weg, der im Grunde ein Weg der sich selbst nie eingestandenen Selbstaufgabe war, zeichnet Dierk Hoffmann in seiner kenntnisreichen und gut zu lesenden Biographie minutiös nach und trägt damit viel Erhellendes zur Entwicklungsgeschichte der SBZ/DDR und zum psychologischen Verständnis ihrer Führungsriege bei.