Dass sich auf dem Gebiet der spätmittelalterlichen Geschichte noch bedeutende Quellenfunde machen lassen, ist jedem bekannt, der nur etwas mit den Archiv- und Bibliotheksbeständen Europas vertraut ist. Aber es kommt doch selten vor, dass eine Quellenserie zugänglich wird, die geografisch praktisch für den gesamten Bereich des lateinisch-christlichen Europa von Relevanz ist und sowohl personen- wie ortsgeschichtlich gleichermaßen bedeutendes Material enthält, das zudem geeignet ist, alle erdenklichen Lebensbereiche des Spätmittelalters zu beleuchten. Um eine solche Überlieferung handelt es sich bei dem Archiv der „Poenientiaria Romana“, der päpstlichen Bußbehörde, das erst seit 1983 der wissenschaftlichen Forschung zugänglich ist. Lange Zeit hatte dieses Archiv im wahrsten Sinne des Wortes im Schatten des Vatikanischen Archivs gelegen, das bekanntlich schon 1881 geöffnet wurde, und es galt zeitweilig sogar als verloren. Selbst ein so hervorragender Kenner der kurialen Bestände wie Emil Göller, der Anfang des 20. Jahrhunderts die maßgebliche Monografie über die Pönitentiarie verfasst hat, wusste nichts von der Existenz des Archivs, und als er nach dem Abschluss seines Werks davon erfuhr, durfte er es nicht benutzen. [1]