„Du, lass uns drüber reden.“ Häufig dominiert heutzutage eine Karikatur der „68er“ als geschwätziger Generation, die bei Rotwein und Joints ganze Nächte über Orgasmusschwierigkeiten im Spätkapitalismus schwadroniert habe. Umso erfreulicher ist es, dass Nina Verheyen das Phänomen der „Diskussionslust“ für die Bundesrepublik einer fundierten historischen Analyse unterzieht. Das vorliegende Buch, welches auf einer 2008 an der Freien Universität Berlin abgeschlossenen Dissertation bei Jürgen Kocka und Volker Berghahn beruht, spannt den Bogen von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis in die 1970er-Jahre. Im Sinne einer Kultur- und Sozialgeschichte des Sprechens gilt das Erkenntnisinteresse der Autorin den Konjunkturen alltäglicher Diskussionsbereitschaft sowie der Differenzierung nach verschiedenen sozialen Räumen und Gruppen. Im Zentrum steht weniger der Inhalt als die Form der Kommunikation – und deren Wandel. Hierzu bedient sich die Autorin sozialkonstruktivistischer Theorien des Sprechens als institutionalisierter Face-to-Face-Interaktionen, die mit Erving Goffman und Thomas Luckmann als „Kommunikationsmuster“ und „kommunikative Handlungen“ begriffen werden. Im Anschluss an Konzepte Pierre Bourdieus und Angelika Linkes sollen ferner soziale Ungleichheiten und sozialsymbolische Dimensionen des Sprechens Berücksichtigung finden.