In den Jahren 1928 bis 1930 unternahm Leo Frobenius im südlichen Afrika die neunte seiner insgesamt zwölf Deutschen Innerafrikanischen Forschungs-Expeditionen. Von Kapstadt aus reiste der achtköpfige Expeditionstrupp über Pretoria bis zum Oberlauf des Zambesi im Gebiet des heutigen Zimbabwe. Unterwegs dokumentierten die Teilnehmer Felszeichnungen, untersuchten die materielle Kultur der durchreisten Gebiete und besuchten als erste Weiße die Königsgräber der Hungwe. Im Oktober 1928 erzwang ein Beinbruch Frobenius’ einen insgesamt siebenwöchigen Aufenthalt nahe Marandellas (Marondera), etwa 75 km östlich der rhodesischen Hauptstadt Salisbury gelegen, dem heutigen Harare. Dort, so scheint es, erwachte Frobenius’ Interesse an lokalen Volksmärchen. Er nutzte die Zeit seiner Rekonvaleszenz, um „Neger und Wilde“ auf der Veranda seines Hotels zu empfangen, und die von ihnen erzählten Märchen und Legenden zu notieren (18). Die während des unfreiwilligen Aufenthalts begonnene Arbeit sollte er während des gesamten weiteren Verlaufs der Expedition fortsetzen und so bis zum Abschluss der Reise insgesamt 431 Erzählungen sammeln. Nur ein Bruchteil dieser Texte lag bisher in publizierter Form vor. Gut 60 davon hatte Frobenius selbst in Erythräa (1931) und den Aufsatz Südostafrikanische Märchen (1931) aufgenommen, etwa vier Dutzend weitere fanden 1965 Eingang in Harald von Sicards Ngano dze Cikaranga: Karangamärchen. Die übrigen knapp 290 Erzählungen aber lagerten bislang unveröffentlicht im Archiv des Frankfurter Frobenius-Instituts. Sabine Dinslage hat sich nun der dankenswerten Aufgabe angenommen, die Texte in einer kritischen Ausgabe der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Herausgekommen sind dabei zwei Textbände und ein umfangreicher Indexband, die das von Frobenius gesammelte erzählerische Material systematisch wissenschaftlich erschließen.